Vishtèn

Trauer und Kreativität

2. Dezember 2025

Lesezeit: 7 Minute(n)

Wie wir mit Verlusten umgehen, ist von Mensch zu Mensch und von Gemüt zu Gemüt sehr unterschiedlich. Manche ziehen sich zurück. Andere werden wütend. Wieder andere aber suchen nach einem Weg, aus den tragischsten Ereignissen des Lebens etwas Positives und Sinnvolles zu machen.

Text: Doug Gallant; Übersetzung: Mike Kamp (with a little help from DeepL)

Und genau diesen Weg haben Emmanuelle LeBlanc und Pascal Miousse von Vishtèn eingeschlagen, nachdem Pastelle LeBlanc, Emmanuelles Zwillingsschwester und Miousse’ Lebenspartnerin, 2022 an Brustkrebs gestorben war. Pastelle LeBlanc war eine brillante Musikerin, Komponistin, Songwriterin und seit den Anfängen vor über zwanzig Jahren fester Bestandteil des dynamischen und von der Kritik gefeierten akadischen Trios von Prince Edward Island (PEI).

Foto: Katrina Kuzminer

 

Der Umgang mit diesem schmerzlichen Verlust forderte seinen Tribut, aber sowohl Emmanuelle LeBlanc als auch Pascal Miousse beschlossen, sich mit den „Vishtèn Connexions“ einem Projekt zu widmen, das dem Abschluss und der Veröffentlichung von Pastelle LeBlancs unvollendeten Kompositionen dienen sollte. Das Ergebnis dieses Herzensprojekts war das preisgekrönte Album Expansion.

„Man kann schon sagen, dass das Projekt mit Pastelle begann.“

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„Wir haben das Album als eine Art Liebesbrief an Pastelle geschaffen, ohne zu wissen, wie es mit Vishtèn weitergehen würde“, sagt Emmanuelle LeBlanc im Interview. „Wir haben Expansion im Mai 2024 veröffentlicht, und Pascal und ich haben einige Konzerte unter dem Titel ‚Vishtèn Connexions‘ mit musikalischen Gästen und Kollaborationen gespielt.“

Emmanuelle Le Blanc und der von den Magdaleneninseln stammende Pascal Miousse machten erst einmal als Duo weiter, bevor im Januar 2025 die Pianistin, Tänzerin und Sängerin Megan Bergeron hinzustieß und Vishtèn sich wieder als Trio neu formierte. Als langjährige Freundin der Band war Bergeron mit Emmanuelle und Pastelle LeBlanc aufgewachsen und Teil der Anfänge von Vishtèn gewesen – so ist sie etwa bereits auf deren Debütalbum von 2003 zu hören.

Pastelle Miousse

Foto: Dave Brosha

Le Blanc erzählte, wie die Aufnahmen zu Expansion ihr und Miousse geholfen hätten, die dunkle Zeit nach dem Tod ihrer Schwester zu überstehen. „Für mich persönlich war es ein Prozess, der sich über die letzten drei Jahre erstreckte“, sagt sie. „Ich kann es nur als etwas beschreiben, das in Wellen kommt. Ich glaube, am Anfang war es tröstlich für mich, Pastelles Aufnahmen auf ihrem Handy anzuhören. Ich habe mich sofort darauf gestürzt, weil ich das Gefühl hatte, immer noch ihre Stimme und die Melodien zu hören, die in ihrem Kopf waren. Es fühlte sich an, als wäre sie im Raum.“

Emmanuelle LeBlanc war erstaunt über die Menge der Aufnahmen, die ihre Schwester auf ihrem Handy und anderen Geräten hinterlassen hatte, insgesamt einhundertfünfzig. „Ich habe mir das im Laufe einer Nacht angehört. Ich saß einfach da mit ihrem Handy und weinte, war aber auch … vielleicht nicht gerade schockiert, weil mir bewusst wurde, dass sie die ganze Zeit Aufnahmen gemacht hatte, aber schon beeindruckt, dass es tatsächlich so viele waren. Damit begann der Prozess.“

Ironischerweise hatten das Trio während der Pandemie, als Pastelle LeBlanc noch lebte, tatsächlich ein „Connexions“-Projekt gestartet, es aber aufgrund der damaligen Beschränkungen zurückfahren müssen. „Wir wollten ‚Connexions‘ mit allen möglichen Musikschaffenden realisieren, die nach PEI kamen“, berichtet LeBlanc. „Für zwei Sommer hatten wir eine Reihe von Konzerten an einem Veranstaltungsort in Charlottetown festgemacht, und es gab eine Menge Leute, die kommen wollten, also kann man schon sagen, dass das Projekt mit Pastelle begann.“ Dann kam die Pandemie, und sie waren gezwungen, sich auf Acts von PEI zu beschränken. Also veranstalteten sie stattdessen einige Sommerkonzerte mit einer Reihe musikalischer Freunde.

Foto: Tara Thompson

 

„Zuerst waren wir uns unsicher, aber dann wurde uns klar, dass wir es tun mussten.“

Als die beiden verbleibenden Mitglieder nach dem Tod der Bandkollegin deren Aufnahmen entdeckten, war klar, dass sie etwas damit machen mussten. „Es ergab einfach Sinn“, erzählt Emmanuelle LeBlanc. „Wir hatten ohnehin Fördermittel vom Canada Council for the Arts erhalten, um damit ein Projekt zu realisieren. Zuerst waren wir uns unsicher, aber dann wurde uns klar, dass wir es tun mussten.“

Während der Produktion des Albums wurde auch klar, dass es noch einige andere Musikschaffende gab, die sie mit an Bord holen wollten. „Einer der Songs schrie geradezu nach Catherine MacLellan“, beschreibt es LeBlanc. „Ein anderer war für De Temps Antan ideal.“ Sowohl MacLellan als auch das Trio aus Quebec sagten ihre Teilnahme zu, aber auch mehrere andere Kulturschaffende. Für die Zusammenarbeit am Titelsong konnten LeBlanc und Miousse mit Rowen Gallant und Jesse Périard zwei der Gründungsmitglieder von Ten Strings and a Goat Skin gewinnen, die inzwischen mit der Band Maukin unterwegs sind. Tim Chaisson und Jake Charron von der mit dem Juno und dem ECMA Award ausgezeichneten traditionellen Rootsband The East Pointers wirkten als Mitglieder von 6 Hearts an der Platte mit. 6 Hearts wiederum ist eine Band, die sie mit Emmanuelle LeBlanc und Pascal Miousse nach dem Tod Koady Chaissons von den East Pointers gegründet hatten, der im selben Jahr wie Pastelle LeBlanc gestorben war. Die walisische Harfenistin Catrin Finch, der senegalesische Koravirtuose Seckou Keita, der in Montreal lebende Multiinstrumentalist Cédric Dind-Lavoie und die Mi’kmaq-Geschichtenerzählerin und Dichterin Julie Pellissier-Lush rundeten das Ganze ab.

Manche fragen sich vielleicht, wie es kam, dass Finch und Keita auf einem Album eines akadischen zeitgenössischen Tradtrios gelandet sind. Music PEI hatte die beiden bereits 2019 mit Vishtèn zusammengebracht, als sie im Rahmen eines Residenzprogramms mit Showcase PEI auf die Insel gekommen waren. „Rob Oakie von Music PEI dachte, wir würden gut zusammenpassen, also lud er Catrin und Seckou für einen Showcase ein und wir verbrachten eine Woche zusammen, um miteinander Musik zu machen.“ Das Ergebnis war ein Konzert am College of Piping and Celtic Performing Arts of Canada in Summerside, von dem Vishtèns Tontechniker, Éli Savoie-Levac, einen Mitschnitt anfertigte.

Foto: Katrina Kuzminer

 

„Als wir mit den ‚Connexions‘-Aufnahmen begannen“, erzählt Emmanuelle LeBlanc, hatten wir sechs Tracks und wollten daraus eine EP machen, aber dann sagte Pascal: ‚Erinnert ihr euch an den Song, den wir mit Catrin und Seckou entwickelt und live bei unserem gemeinsamen Auftritt aufgenommen haben?‘“ Sie hörten ihn sich noch einmal an und beschlossen sofort, dass er mit aufs Album muss. „Der Track klang großartig. Und so wurden die beiden ebenfalls Teil des Projekts. Schön ist es aber auch, weil dadurch Pastelles Stimme auf dem Album zu hören ist.“

Auf die Frage, wie sich die hinterlassenen Aufnahmen zu dem entwickelten, was auf der Platte zu hören ist, antwortet Emmanuelle LeBlanc, dass die Tracks auf Expansion alle zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen worden und die Melodien zwar ziemlich nah an dem seien, was Pastelle LeBlanc komponiert hatte, aber eben nicht alles fertig gewesen sei. „Also mussten wir noch etwas hinzufügen.“

Der Titel beispielsweise, in dem Julie Pellissier-Lush zu hören ist, hatte keinen Text, als Pastelle LeBlanc ihn aufnahm. Die beiden verbliebenen Bandmitglieder hörten, wie Pellissier-Lush ihre Gedichte vorlas, und baten sie, ein Gedicht zu schreiben, das zu der komponierten Melodie passte. „Das war also alles neues Material, und dann musste ein Arrangement dafür her.“

Expansion umfasst sieben Songs, weitere Aufnahmen sind in Arbeit. „Wir haben diesen Herbst damit begonnen“, sagt Pascal Miousse. Wir wollen vielleicht nicht alles aufnehmen, aber das meiste davon, denn auf Pastelles Handy ist noch so viel gutes Material. Das wollen wir in die Öffentlichkeit bringen.“ Miousse findet, dass es sich bei der Arbeit mit diesen Aufnahmen so anfühlt, als wäre seine Lebensgefährtin immer noch Teil der Band und würde weiterhin mit ihnen Musik machen. Alle drei heutigen Vishtèn-Mitglieder sind sich einig, dass das so ist, egal ob sie ein Konzert spielen oder proben. „Manchmal kommt sie auch mit uns auf die Bühne“, sagt ihre Schwester. „Wir geben ihr jedes Mal Zeit“, fügt Miousse hinzu. „Ich glaube, das hilft uns, sie weiter mit dabeizuhaben. Das ist ein tolles Gefühl für uns.“ Er ist sich auch sicher, dass dies ihnen bei der Trauerbewältigung geholfen hat. „Ich glaube, Pastelle wäre glücklich, denn es gab so viel Gutes. Sie war immer in ihrem Haus, nahm ständig Musik auf vielen Instrumenten auf – Akkordeon, Geige, Mandoline – und spielte immer etwas auf ihr Handy. Ich glaube, sie freut sich, wenn wir diese Melodien einfach am Leben erhalten können.“

Cover Vishtèn, Expansion

 

Emmanuelle LeBlanc ergänzt, dass ihre Schwester auch wirklich glücklich darüber gewesen wäre, welche Resonanz das Material auf Expansion erzeugt hat. Das Album gewann Anfang September drei Auszeichnungen bei den East Coast Music Awards in St. John’s, darunter die für das „Album des Jahres“ – es war das erste Mal, dass frankofone beziehungsweise akadische Künstler diesen Preis gewonnen haben. „Pastelle wäre stolz darauf.“

Auch Megan Bergeron bedeutet es sehr viel, wieder Teil von Vishtèn zu sein. „Ich war von Anfang an sehr dankbar für die Gelegenheit, mit Emmanuelle und Pascal zu spielen“, erzählt sie. „Und für die Möglichkeit, mich mit ihrer Musik zu verbinden.“ Für sie, die mit den beiden LeBlanc-Schwestern aufgewachsen ist, sei es ebenfalls sehr wichtig, daran mitzuwirken, die von Pastelle hinterlassene Musik am Leben zu erhalten und zu verbreiten.

Vishtèn haben Pastelle LeBlanc bei ihren Konzerten im Sommer und Frühherbst wieder in besonderer Weise gedacht und konzentrieren sich nach einer kleinen Pause nun erneut darauf, das Vermächtnis des ehemaligen Bandmitglieds in Form ihrer Musik zu bewahren.

www.vishten.net

Aktuelles Album:

Expansion (Eigenverlag, 2024)

Zum Autor: Der Musikjournalist Doug Gallant arbeitete unter anderem für Canadian Musician, Penguin Eggs und CBC Radio. Er war Vorstandsmitglied der East Coast Music Awards (ECMA) und der Music PEI Awards, wo er jeweils auch als Jurymitglied fungierte. Dreimal wurde er selbst bei den ECMA als „Medienpersönlichkeit des Jahres“ ausgezeichnet. Weitere Jurybeteiligungen gab es bei den JUNO Awards, den Polaris Music Awards oder den Maple Blues Awards. Gallant war zudem Co-Autor des Musicals Canada Rocks, das 2005 fünfzig Jahre kanadische Rock-, Pop-, Folk- und Countrymusik dokumentierte.

Aufmacher:

Foto: Katrina Kuzminer

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